30 Jahre Deutsche Einheit – Ein Tag zum Feiern, Nachdenken und Zuhören
Heute vor dreißig Jahren wurde die deutsch-deutsche Teilung überwunden und die Einheit Deutschlands wiederhergestellt. Mit dem 3. Oktober traten die gerade erst wieder neu entstandenen Bundesländer im Osten dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei. Damit endete zugleich die hoffentlich letzte Diktatur auf deutschem Boden. Die Friedliche Revolution in der DDR hatte die Macht des SED-Regimes gebrochen und damit den Weg für eine Wiedervereinigung bereitet. Überall in der DDR entstanden Runde Tische, wurden Zentralen des Staatssicherheitsdienstes gestürmt und die Macht schrittweise in die Hände des Volkes überführt.
Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung blicken wir zurück auf eine nicht immer geradlinige, im Ergebnis aber doch ganz überwiegend erfolgreiche Entwicklung. Den Menschen in der ehemaligen DDR geht es heute zum ganz überwiegenden Teil besser. Sie genießen Freiheiten, die ihnen durch die SED vierzig Jahre lang vorenthalten wurden. Der Eiserne Vorhang, der sich einst quer durch Europa zog, ist bis auf ein paar als Gedenkstätten belassene Anlagen und eine mit Pflastersteinen markierte Linie durch Berlin heute weitestgehend verschwunden. Längst wächst in Deutschland eine Generation von Menschen heran, für die der Unterschied zwischen Ost und West nicht größer ist, als der zwischen Nord und Süd. Die „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl den Menschen in der ehemaligen DDR einst versprach, sind heute vielerorts Wirklichkeit geworden. Ob das Stadtschloss in Potsdam oder die Frauenkirche in Dresden, ob sanierte Straßen, regenerierte Gewässer oder wiederaufgebaute historische Altstädte – sie alle sind Zeugen der ungeheuren Aufbauleistung, die Deutschland insgesamt seit 1990 zur Überwindung der Folgen des Sozialismus vollbracht hat. Und wenn auch viel zu langsam, so nähern sich auch die Lebensverhältnisse in Ost und West allmählich an. Selbst der Bevölkerungsrückgang, den die neuen Bundesländer nach 1990 erleiden mussten, hat sich merklich verlangsamt. Nicht wenige Menschen schauen heute auf ihre Heimat und bekennen sich mit wachsendem Selbstbewusstsein dazu, Brandenburger, Sachse oder Thüringer zu sein.
Dennoch dürfen diese Erfolge nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Einigungsprozess auch viele schwerwiegende Fehler gemacht wurden. Einige davon waren kaum vermeidbar. Bei einer Fusion hat es der kleinere Partner immer schwerer. So erging es auch den Menschen in der ehemaligen DDR. Quasi über Nacht fanden Sie sich in einem neuen Staat mit einem gänzlich anderen politischen, rechtlichen und ökonomischen System wieder. Die innerhalb kürzester Zeit erbrachte Transformationsleistung der Menschen in Ostdeutschland kann hierbei kaum hoch genug bewertet werden und sollte auch politisch – etwa in der Frage der Rentenangleichung – ihre Anerkennung finden. Während vieles Verhasste verschwand, mussten die Menschen im kleineren Teil Deutschlands sich auch von einigem Liebgewonnenen – nicht zuletzt von Familie, Freunden und Nachbarn, die ihr Glück und ihre berufliche Zukunft woanders suchten – verabschieden. Für viele, die da blieben, brachte die Wiedervereinigung zunächst Arbeitslosigkeit und damit einhergehend auch soziale Entwurzelung. Die Betriebe, die zu DDR-Zeiten mehr als nur ein Arbeitsplatz waren, verschwanden zu einem großen Teil. Andere wurden zu Zweigstellen vorwiegend westdeutscher Unternehmen mit nur noch einer Rumpfbelegschaft zurückgestuft. Die Treuhand – für viele Menschen Sinnbild des ökonomischen Niedergangs – ist für viele Menschen noch heute ein Trauma, das zumindest aufgearbeitet werden sollte. Aber auch das Gefühl, der eigenen Identität beraubt und um die eigene Lebensleistung gebracht worden zu sein, hat viele Menschen zutiefst gekränkt. Während einige versuchten, ihre ostdeutsche Herkunft bestmöglich zu verstecken, begannen andere daraufhin jenen Staat zu verteidigen, den sie kurz zuvor noch verflucht hatten. Die Erfahrungen der Nachwendejahre, in denen sich viele Ostdeutsche zu Schuljungen westdeutscher Chefs und drüben gescheiterter Beamter degradiert fühlten, wirken bis heute nach und haben sich teilweise auch auf die Generation der Kinder
übertragen. Das Gefühl, mit ihrer Geschichte und ihrem Schicksal unzureichend gehört worden zu sein, hat das Vertrauen in die Demokratie nachhaltig beschädigt und ein Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands erschwert.
Dennoch haben viele Menschen sich in den vergangenen dreißig Jahren eine neue Existenz aufgebaut und mit harter Arbeit bei oft geringerem Lohn einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet. Vielleicht braucht es diesen zeitlichen Abstand und Gedenktage wie den 3. Oktober, um offener und zugleich sachlicher über individuelle und kollektive Schicksale miteinander zu sprechen. Sicher wird man dabei über alle Unterschiede hinweg genug Gemeinsamkeiten und gemeinsam vollbrachte Leistungen entdecken, um auch die innere Einheit zu vollenden.